Ein Bauhäusler am Grab von Hugo Junkers
In einem als „geheim“ deklarierten Bericht der Bayrischen Politischen Polizei vom 28. Februar 1935 an die Landeskriminalpolizeistelle in Dessau, Herrn Oberstaatsanwalt Dr. Lämmler, wird von den Vorgängen während der Urnenbesetzung von Hugo Junkers auf dem Waldfriedhof in München nach Aussagen des Friedhofsverwalters folgendermaßen berichtet:
„…Der Trauerakt verlief würdevoll, es wurden viele Kränze niedergelegt. Mir selbst fiel aber folgendes auf: Als letzter Redner trat aus den Trauergästen ein unbekannter Mann hervor und legte vor der Urne einen auffallend bescheidenen kleinen Kranz nieder. Der Mann sprach fließend und gut; seiner Sprache nach muss er eine Norddeutscher gewesen sein. Ich kann mich an den Wortlaut seiner kurzen Rede nicht mehr erinnern, ich weiß aber noch, dass er als „Arbeitsloser“ den Kranz niedergelegt und dem genialen Erfinder dafür gedankt hat, dass er durch seine Erfindung Arbeit schuf. Auch zitierte er ein kurzes Gedicht. Ich hatte den Eindruck, dass es sich um einen dem Prof. Junkers nahestehenden Mann handelte, der früher wohl in besseren Verhältnissen gelebt hat. Er trug abgetragene Kleidung und fiel auch dadurch besonders auf. Der niedergelegte Kranz zeigte besondere Eigenart; es war ein aus dem Heckendorn selbst geflochtener kleiner Kranz, lediglich mit etwas Grün und drei Rosen geziert.“
Der unbekannte Mann setzte damit ein Zeichen angesichts der als Staatsbegräbnis wirkenden Feierlichkeiten - wenn auch mit Politikern der zweiten Reihe - den gleichen Machthabern, die Junkers aus seinen Werken und aus Dessau vertrieben hatten. Der Mann mit dem Dornenkranz war der Bauhäusler Siegfried Ebeling (1894-1963). 1923/24 arbeitete er als wissenschaftliche Hilfskraft in der Propagandaabteilung im Junkers-Flugzeugwerk, bis er 1924/1925 ein Studium am Weimarer Bauhaus aufnahm. Doch Gropius´ Ansichten über „Wohnmaschinen“ kamen denen Ebelings in keiner Weise nahe – im Gegenteil, Ebeling kritisiert die nach seiner Ansicht wenig ausgereifte Forschung zum systematischen Hausbau von Gropius.
In Hugo Junkers traf er auf einen Visionär in der Forschung zum energetischen Haustyp, so dass er 1926/1927 in der Junkers-Hausbauabteilung zusammen mit Peter Drömmer, Ludwig Wagenseil und Mathias Lürken arbeitete. In dieser Zeit entstand seine in der Welt der Architekturtheorie Aufsehen erregende Schrift „Der Raum als Membran“ – ein Meilenstein auf dem Weg der heute modernen Solararchitektur. Doch als Junkers seine Forschungsschwerpunkte in Sachen Hausbau revidierte, kündigte Ebeling 1927 seine Mitarbeit auf, blieb Junkers jedoch weiterhin verbunden. Ebeling wirkte später als Architekt und Maler.
Die betreffende Akte der Oberstaatsanwaltschaft Dessau einschließlich der Fotografien des Dornenkranzes sind online recherchierbar1 und in der Abteilung Dessau des Landesarchivs Sachsen-Anhalt während der Öffnungszeiten (Mo, Mi, Do 9-17 und Di 9-19 Uhr) einsehbar. (Quelle: LASA, Z 257 Oberstaatsanwalt Dessau, Nr. 181)
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