Aufruf zum „Nachtgebet für Frieden, Gerechtigkeit, Demokratie“ am Freitag, 20.Oktober 1989

Vor 30 Jahren, im Herbst 1989, führten die Bürgerinnen und Bürger der DDR in einer friedlichen Revolution die politische Wende herbei und leiteten damit die Wiedervereinigung Deutschlands ein. Die politische Opposition meldete sich erstmals offen mit dem Gründungsaufruf des Neuen Forums Anfang September zu Wort. Da hatte die Ausreisewelle bereits ihren Höhepunkt erreicht. Obgleich in den Kirchen und auf den Straßen schon für Freiheit und Demokratie demonstriert wurde, beging man den 40. Jahrestag der DDR am 7. Oktober von offizieller Seite noch einmal glanzvoll. Kurz danach fanden die Leipziger Montagsdemonstrationen überall in der DDR Widerhall. So auch in Dessau. Erstmals kamen am 20. Oktober fast 3.000 Menschen zum „Gebet für den Frieden“ um 18.00 Uhr in der Dessauer Johanniskirche zusammen. Mehr als 1.000 von ihnen mussten vor den verstopften Eingängen der Kirche stehen bleiben. Der vom evangelischen Kreisjugendkonvent initiierte Gottesdienst sollte das von etwa 80 Jugendlichen besuchte Taizégebet vom Freitag der Vorwoche in der Georgenkirche fortsetzen.

Als sich am Donnerstagabend die Nachrichten verdichteten, dass das Interesse an dem Gottesdienst sehr groß sei, wurde dieser von der Georgen- in die größere Johanniskirche verlegt. Peter Rauch, einer der beiden Gemeindepfarrer von St. Johannis, begrüßte die Menschen und bat, die Zeichen des Glaubens in der Kirche (Kreuz, Kerzen) die einzigen Zeichen sein zu lassen. Sein Wunsch wurde beherzigt und keines der mitgebrachten Transparente ausgerollt. Kreisoberpfarrer Alfred Radeloff hielt die Predigt. Er betonte in seiner Ansprache die Notwendigkeit einer offenen und angstfreien Aussprache mit dem Ziel der Erneuerung der Gesellschaft. Nach dem Gottesdienst kam es zu einem Gespräch, bei dem viele Dessauer mutig unter Nennung ihres Namens, ihre Meinung über die Situation in Dessau und im ganzen Land vertraten. Zeitgleich fand die erste Demonstration Dessauer Bürger für radikale Veränderungen statt.

Ein Handzettel, der die Dessauer zu diesem ersten Gebet um Erneuerung in Dessau noch in die Georgenkirche einlädt, wird im Stadtarchiv Dessau-Roßlau neben Plakaten, Wahlzetteln, Fotos und anderen Dokumenten aus der „Wendezeit“ aufbewahrt und ist als Archivale des Monats November im Archivzentrum Dessau zu sehen.

Stadtarchiv Dessau-Roßlau Heidestraße 21 06842 Dessau-Roßlau Tel.: 0340/204-1024 Web: www.stadtarchiv.dessau.de

Öffnungszeiten: Mo 9-17 Uhr Di 9-19 Uhr Mi, Do 9-17 Uhr