Vom Luxusgut zum Grundnahrungsmittel

Vom Luxusgut zum Grundnahrungsmittel

Der weltumspannende Aufstieg der Kolonialware Zucker

Von Anja Bel

In seinen Darstellungen zur Europäischen Expansion bezeichnet der Historiker Reinhardt Wendt das Nahrungsmittel Zucker nicht nur als „wichtigstes Genussmittel, das Europa aus der Neuen Welt einführte“1, sondern auch als zentrales „Leitprodukt im Verhältnis zwischen Europa und der überseeischen Welt“2 – Aussagen, die für einen nicht zu unterschätzenden historischen Wert des Produktes Zucker sprechen und die es näher zu erläutern gilt.

Es geht letztlich um zwei Schwerpunkte; zum einen um die Ursachen für den Bedeutungszuwachs des Zuckers in verschiedenen Phasen der Europäischen Expansion in die „Neue Welt“, zum anderen – vor dem Hintergrund der Formierung Europas im 18. und 19. Jahrhundert – um Rückkopplungen und Wechselwirkungen europäisch-überseeischer Beziehungen.

Die wachsende Bedeutung des Zuckers ging einher mit der Entwicklung vom Luxusprodukt für reiche Bürger zum für alle erschwinglichen Nahrungsmittel des täglichen Gebrauchs. Die steigende Popularität und der Konsum von Heißgetränken wie Kakao, Tee oder Kaffee, deren Ursprünge ebenfalls in der überseeischen Welt lagen, trugen gleichermaßen dazu bei, das Bedürfnis nach einem Süßungsmittel zu wecken.

Die Eroberung der Kolonien und der Anbau der Zuckerrohrpflanze in Übersee hatte jedoch nicht nur Folgen vor Ort, sondern wirkte auch in die „Alte Welt“ zurück.

„Die Geschichte keiner der ‚weltwirtschaftlichen‘ Waren greift so tief in die der mannigfaltigsten Gebiete ein wie jene des Zuckers: […] er beeinflusst Sitten, Gebräuche und Lebensgewohnheiten aller Art, belebt Handel, Verkehr und Schifffahrt, fördert in durchgreifender Weise das Kolonialwesen, spielt dabei eine entscheidende Rolle betreffs der Entwicklung der Sklaverei“,3 so Edmund O. von Lippmanns geradezu pathetische Charakterisierung im Jahr 1929 in seinem „Beitrag zur Kulturgeschichte“.

Das Produkt Zucker ist ebenso beispielhaft, wenn es um Pflanzentransfer, um Kapitaltransfer und nicht zuletzt um den Transfer von Menschen und kulturellen Gewohnheiten sowie von speziellen Arbeitsgeräten geht.

Bereits seit dem 5. Jahrhundert n. Chr. kam es immer wieder zu Neuerungen und Verbesserungen in den Anbau- und Verarbeitungsmethoden von Zuckerrohr, deren Wirkung auch für die spätere Expansionsgeschichte von Bedeutung sein sollten.

1 Reinhardt Wendt: Übersee in unserem Alltag. Die Rückwirkungen der Europäischen Expansion seit dem 16. Jahrhundert, Hagen 2004/2005, S. 8.

2 Reinhardt Wendt: Zucker – Zentrales Leitprodukt der Europäischen Expansion, in: Zeitschrift für Agrargeschichte und Agrarsoziologie 61(2013), S. 43-58, hier: S. 43.

3 Edmund O. von Lippmann: Geschichte des Zuckers, seiner Darstellung und Verwendung, seit den ältesten Zeiten bis zum Beginne der Rübenzuckerfabrikation. Ein Beitrag zur Kulturgeschichte, Berlin 1929, S. V.

Info

Zucker aus Rüben – Ein „Kraftstoff“ der Moderne: Informationen zur Ausstellung, mit Beiträgen von Anja Bel, Frank Kreißler, Jana Müller, Bernhard Post und Karin Weigt

REDAXO 5 rocks!